Die Wettbewerbsverzerrer
Vorneweg ein paar Wort zum Abstieg: Jede Mannschaft, die am Ende von 34 Bundesligaspieltagen auf dem 17. und 18. Tabellenplatz steht, hat es verdient abzusteigen, egal wie sympathisch oder unpopulär, wie traditionell oder investorgestützt, wie großstädtisch oder provinziell der Verein auch sein mag. Ich würde sogar so weit gehen, dass auch der 16. direkt als Absteiger feststehen sollte, aber da ist das Regelwerk leider anders.
Dementsprechend werden sich am kommenden Wochenende zwei Teams für mindestens ein Jahr aus der Bundesliga verabschieden. Das ist schade für die Fans, für die Verantwortlichen und auch für die Spieler. In jedem der Clubs gibt es Menschen, die mit viel Engagement, Herzblut und Liebe für ihren Verein kämpfen, und mit der Mannschaft leben und leiden. Allein die Anzahl dieser Menschen variiert von Club zu Club. Wenn also am nächsten Samstag um ca. 17:30 Uhr zwei Vereine am Ende nicht die Klasse halten können, dann gilt das Mitgefühl vor allem diesem Personenkreis.
Wettbewerbsverzerrung durch FC Bayern?
Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass anscheinend in einigen der Städte die Zurechnungsfähigkeit und Urteilskraft durch den Abstiegskampf eingeschränkt ist. Anders lassen sich die Aussagen der Verantwortlichen aus den beteiligten Städten nicht erklären. Nach dem 33. Spieltag wurde in Paderborn und Hannover, vermutlich auch in Hamburg, Stuttgart und sogar Berlin, ein Schuldiger für den möglichen eigenen Abstieg gefunden. Der FC Bayern hätte wettbewerbsverzerrend in den Abstiegskampf eingegriffen, da die Münchner beim 1:2 in Freiburg offensichtlich nicht die richtige Einstellung an den Tag gelegt hätten. Unprofessionell sei das gewesen, wobei diese Einschätzung interessanterweise von Klaus Allofs stammte, der ja direkt gar nichts mit dem Abstieg zu tun hat. Doch zu Klaus Allofs kommen wir später.
Normale Aufstellung, schnelle Führung, vergebene Chancen
Verzerrt stimmt bei der Einschätzung des Spiels im Breisgau. Jedoch nicht, was den Wettbewerb angeht, sondern was die Wahrnehmung von außen betrifft. Betrachten wir zuerst die Startelf. Im Vergleich zur Champions League am Dienstag standen Rode, Weiser und Götze für Müller, Thiago und Lahm in der Startformation. Verglichen mit der Partie in Leverkusen, verzichtete Guardiola auf Nachwuchskräfte wie Gaudino, und rotierte in normalem Rahmen.
In der Anfangsphase waren die Bayern überlegen, und erzielten durch Schweinsteiger nach 13 Minuten die Führung. Dazu traf Mehdi Benatia bereits vorher per Kopf, der Treffer wurde allerdings nicht anerkannt. Mit der ersten offensiven Aktion konnte der SC Freiburg dann ausgleichen. Mehmedi traf in Anschluss an einen schlechten Pass von Schweinsteiger zum 1:1. Das Unentschieden zur Pause schmeichelte dabei eher den Gastgebern, wobei nach dem Ausgleich die Bayern kaum noch zum Abschluss kamen.
In der zweiten Hälfte hatten die Gäste mehrere gute Gelegenheiten. Götze scheiterte am tollen Reflex von Bürki, Schweinsteiger an der Latte, und Thiago wieder am Schweizer Torwart. Auf der anderen Seite hätte Freiburg Mitte der zweiten Hälfte einen Elfmeter (+Rot für Rafinha) bekommen müssen, der Pfiff blieb aber aus. Einwechselspieler für die Bayern waren Müller, Lahm und Thiago. Kurz vor Ende der Partie erzielte dann der ehemalige Münchner Nils Petersen den Siegtreffer für den SC Freiburg. Das Abwehrverhalten war bei diesem Kontertor nicht sonderlich gut, aber auch nicht anders, als bei manch anderem Gegentor in den letzten Wochen.
Was erwarten Dufner & Co?
Der FC Bayern verliert also das dritte Bundesligaspiel in Folge. Geht dabei nicht unter, sondern war nach den Meinungen der meisten Beobachter die bessere Mannschaft, alleine die Tore fehlten. Auch bei den Niederlagen gegen Leverkusen (zweimal Götze alleine vor dem Tor) und gegen Augsburg (Pfosten & Latte) wurden die erspielten Chancen einfach nicht genutzt. Das galt im Übrigen auch für die erste Halbzeit im Rückspiel gegen Barcelona, ist also aktuell eher die Regel, als die Ausnahme. Rund um zwei internationale Spiele gegen die momentan beste Mannschaft der Welt, haben die Bayern in drei Begegnungen ihre Chancen nicht genutzt, und letztlich eher unglücklich verloren. Dazu kommt gegen Augsburg noch der Spielverlauf, bei dem die Bayern 75 Minuten in Unterzahl agieren mussten.
Dabei ließ Pep Guardiola nur in Leverkusen mit Rico Strieder und Gianluca Gaudino zwei Nachwuchsspieler starten, ansonsten spielte der Rest des Kaders, der nicht zu den Langzeitverletzten gehört. Angesichts der vergangenen Wochen hätte Guardiola vielleicht sogar Spielern wie Lewandowski (spielt noch immer mit Maske, aufgrund mehrfacher Knochenbrüche im Gesicht), Lahm, Alonso, Neuer, Rafinha oder Bernat eine Ruhepause geben müssen. Doch die aktuelle Situation im Kader gibt dem Trainer keine Alternativen, wenn er nicht komplett auf Amateure oder Nachwuchsspieler zurückgreifen möchte.
So schickte der Bayerncoach die verbliebenen „Stammspieler“ aufs Feld, wohl wissend, dass diese nach sechs englischen Wochen hintereinander auf dem Zahnfleisch gehen würden. Und trotz der Belastungen und Enttäuschungen durch das Ausscheiden in zwei Wettbewerben spielte die Mannschaft auf Sieg, und verlor dann in den Schlussminuten. Sind die Münchner damit Wettbewerbsverzerrer? Welche Aufstellung hätten die Kritiker sich gewünscht? Welche Einstellung wäre „professionell“ gewesen?
Kehren vor der eigenen Haustür
Speziell die Kritik von Dirk Dufner ist eine Frechheit. Der Manager von Hannover 96 hatte zum Zeitpunkt seiner Aussage noch nicht mal die Chance Ausschnitte des Spiels Freiburg – Bayern zu sehen, geschweige denn das komplette Spiel. Aber natürlich kam Dufner das Ergebnis aus Baden gerade recht. Schließlich konnte er damit sofort und bequem den Focus vom eigenen Spiel und der Lage bei 96 ablenken.
Hannover hatte mit Glück und durch zweifelhafte Schiedsrichterentscheidungen in Augsburg gewonnen. Den Gastgebern wurden zwei klare Elfmeter verweigert, dazu war ein Zweikampf vor dem 1:2 für 96 zumindest diskussionswürdig. Viel schlimmer ist aber, dass der von Dufner geführte Verein 16 (in Worten sechszehn!) Spiele ohne Sieg blieb. Außerdem glich der Trainerwechsel von Tayfun Korkut auf Michael Frontzeck mehr einer schlechten Daily Soap, als dem Management eines seriösen Bundesligisten.
Aber was ist einfacher, als den FC Bayern als Sündenbock zu nehmen. Gewinnen die Münchner ihre Spiele in Serie, dann machen sie die Bundesliga langweilig, verliert er gegen Ende der Saison, betreibt der FCB Wettbewerbsverzerrung.
Eigene Fehler Fehlanzeige?
Für die Abstiegskandidaten ist es so schön einfach auf andere mit dem Finger zu zeigen, um von der eigenen Unfähigkeit abzulenken.
In Hannover gab es, neben der fast eine Rückrunde dauernden Negativserie, das ganze Jahr über Zoff zwischen dem Verein, genauer Präsident, und seinen Fans, genauer Ultras.
Beim anderen HSV, eine Großstadt weiter im Norden, sitzt der vierte Trainer der Saison auf der Bank.
Der SC Paderborn spielte ein großartiges Auswärtsspiel auf Schalke, verpasste es aber, eine der zahlreichen Torchancen zur Führung zu nutzen. Gegen verunsicherte Schalker wäre das vermutlich auch der Siegtreffer gewesen. „So einfach wird es nie wieder auf Schalke zu gewinnen“, merkte der Paderborner Moritz Stoppelkamp zurecht an.
In Berlin bringt Salomon Kalou alleine vor dem Tor keinen vernünftigen Torschuss zustande.
Beim VfB Stuttgart macht sich der Trainer vor der Mannschaft und den Kameras der Fernsehsender zum Affen, wobei das anscheinend sogar geholfen hat. Dafür half vor ein paar Wochen beim direkten Duell gegen den SC Freiburg zuhause auch eine 2:0-Führung nicht, um das Spiel zu gewinnen.
Selbst der SC Freiburg, durch die Bayern angeblich wettbewerbswidrig bevorteilt, ist nicht frei von Fehlern. Das 1:1 in der 90. Minute beim Unentschieden in Hamburg vor einer Woche, war nur eines von vielen Spielen in dieser Saison, bei dem der SC in den Schlussminuten wertvolle Punkte liegen ließ.
Durchweg ALLE Abstiegskandidaten sind für die aktuelle Tabellensituation also alleine verantwortlich. In keinem Fall ist es der deutsche Meister aus München.
Verständlich, wenn man in einer abstiegsbedrohten Lage nicht immer eine klare Sicht auf die Dinge behält. Es sei den Verantwortlichen und Spielern aber angeraten sich auf die eigenen Baustellen zu fokussieren. Am letzten Spieltag können sich die Mannschaften nur noch selber helfen.
Das leuchtende Beispiel Klaus Allofs
Schelte aus Wolfsburg. VFL-Manager Klaus Allofs kritisiert den Rekordmeister. #ssnhd pic.twitter.com/bbeT4HN4Jr
— Sky Sport News HD (@SkySportNewsHD) May 17, 2015
Bleibt abschließend noch das Rätsel Klaus Allofs. Warum sich ausgerechnet der Manager des Tabellenzweiten aus Wolfsburg am Sonntag beim Doppelpass in Sport1 dazu genötigt sah, den Bayern fehlende Professionalität vorzuwerfen, ist ein kleines Rätsel. Möglicherweise bringt sich Allofs schon einmal für die Ablöseverhandlungen um Kevin de Bruyne in Position. Aber wie sieht eigentlich die jüngere und ältere Vergangenheit von Allofs und seinen Vereinen aus?
Was war professionell daran, dass der VfL Wolfsburg mit voller Mannschaft zuhause gegen den Nachbarn aus Hannover eine 2:0-Führung verspielte? Ging das Team professionell in dieses Spiel, oder waren die „Wölfe“ möglicherweise noch abgelenkt vom Einzug ins Finale des DFB-Pokals am Mittwoch zuvor?
Doch Allofs ist ja noch nicht lange bei Wolfsburg, und hat eine einwandfreie Reputation aus seiner langen Zeit bei Werder Bremen. Da ließen sich Mannschaften niemals dazu hinreißen in bedeutungslosen Spielen weniger Einsatz zu zeigen. Oder doch?
Vielleicht sollte sich „Vorbild“ Allofs mal an die Saison 2008/2009 erinnern. Da stand sein damaliger Club Werder Bremen im Finale des UEFA-Pokals. In der Bundesliga lag Bremen zu diesem Zeitpunkt im Niemandsland der Tabelle auf Rang zehn. Am Wochenende vor dem Endspiel verlor Bremen gegen den Tabellenletzten aus Karlsruhe mit 1:3. Vier Tage nach dem verlorenen Finale gegen Schachtar Donezk ließ sich Werder dann am letzten Spieltag vom kommenden Meister VfL Wolfsburg, mit 5:1 abschlachten. Professionelle Einstellung sieht anders aus, oder Herr Allofs?
Sowohl die Abstiegskandidaten, als auch Klaus Allofs sollten also lieber vor der eigenen Haustür kehren, als – mal wieder – dem FC Bayern die Schuld für eigene Versäumnisse zu geben. Und wer glaubt, dass die Münchner freiwillig ein Spiel verlieren, der kennt das Selbstverständnis des Rekordmeisters nicht.
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